Weihnachten in Familie – das hatte ich dieses Jahr einmal anders. Nicht meine Eltern waren es, mit denen ich unterm Weihnachtsbaum gesessen habe, sondern die meiner Freundin. Da 600 Kilometer eine denkbar ungeeignete Strecke ist, um die weit verbreitete Lösung: „Heiligabend jeder bei seiner Familie, 1. Feiertag bei mir, 2. Feiertag bei dir“ zum Einsatz zu bringen, bin ich mit in den Zug Richtung (ihrer) Heimat gestiegen. Ein Weihnachen ohne sie wäre kein schönes Weihnachten gewesen – meine Eltern werden es verkraftet haben.
Anreise
Am Samstag vor Weihnachten (21.12.2013) ging es los – 4.00 Uhr klingelte der Wecker. Kein Problem – wir sind ja erst zwei Stunden vorher ins Bett. Eine Stunde später warteten wir mit unserem leichten Gepäck auf die Straßenbahn, die uns zum Hauptbahnhof Dresden brachte. Gleis 2 – ICE 1654 nach Frankfurt (Main) Hbf. – das erste Mal ICE. Ich fahre ja gern Zug. Ich finde das unwahrscheinlich entspannend. Anders hätte ich die drei Jahre Pendeln nach Bautzen wohl nicht überstanden und auch jetzt bin ich ja täglich ein gutes Stück mit der Bahn unterwegs.
Die Sitze waren bequem, so viel Beinfreiheit hatte ich lange nicht mehr, Strom gibt es auch (versteckt zwischen den Sitzen unterhalb der Kopfhörerausgänge) und die Nazis zwei Reihen weiter haben sich trotz Bierkonsum (schon 5.30 Uhr beim Einsteigen in den Zug) nicht daneben benommen. Im Boardradio gab es Elektroswing Parov Stelar – All Night) und später eine Stunde Rainald Grebe im Deutschlandfunk. Super! Eins nur: dass der Zugführer bei jedem Halt auf eben diesen Kanälen versuchte mir das Trommelfell zu zerreißen und wie der größte Tölpel durch die Gänge marschierte und schrie, ob noch jemand zugestiegen sei.
In Frankfurt angekommen ging es noch etwas mit der S-Bahn weiter und schließlich wurden wir vom S-Bahn-Halt abgeholt und noch ca. 30 Minuten über Berg und Tal kutschiert. Wenn mich da jemand im Wald ausgesetzt hätte, ich wüsste nicht, in welche Richtung ich mich zur Zivilisation durchschlagen hätte müssen. Mein Telefon bräuchte man mir auch nicht wegnehmen, bei diesem Empfang wäre es keine Hilfe gewesen.
EDGE-Land und GPRS-Hölle
„Wer zu viel über EDGE-Land lästert, wird mit GPRS gestraft.“ – genau das traf mich vergangene Woche. Im Zug hatte ich schon kaum Empfang, aber da wechselt man ja eh andauernd die Funkzelle. In Aarbergen angekommen stand in der Statusleiste maximal ein „E“ und daneben vielleicht 3/5 Balken – oft genug aber wirklich nur GPRS. Als Nina ausgepackt hatte wurde mein flehender Blick bemerkt und richtig gedeutet: ich bekam das WLAN-Passwort ausgehändigt. Zu früh gefreut: 2000er DSL mit gut geschirmten Wänden = im 1. OG kaum Empfang. Aber hey: das ist Urlaub! Weg von der Arbeit, weg von der Heimat (also auch weg vom Internet).
Heiligabend
Nachdem ich am Montag insgesamt 250 Lämpchen um den Baum gewickelt habe und durch Nina und ihre Mama mehr als noch mal so viele Anhänger befestigt wurden, zeigte sich uns der Weihnachtsbaum in seiner vollen Pracht. Er (war) ist wirklich sehr schön. Am Heiligabend gabs dann (für mich das erste Mal) Fondue. Fleisch mit Fleisch (und leckeren Soßen). Dann folgte ganz in Ruhe die Bescherung – Teil 1. Denn kurz nach 21.30 Uhr unterbrachen wir das freudige Päckchen auspacken und statteten der Kirche im Nachbardorf einen Besuch ab. Der mittlere Teil gefiel mir sogar sehr gut. Nachdem wir gehört hatten, dass es allen Nichtgläubigen nicht gut ergehen wird (Strafe Gottes u.s.w.), mahnte der Pfarrer in seiner Predigt zu mehr Ruhe und Gelassenheit – sich Zeit für sich selbst zu nehmen, mit dem Radierer durch den Terminkalender zu gehen und seine Träume nicht zu beschneiden. Nachahmungswürdige Ratschläge – obwohl, was ich die letzte Zeit so geträumt habe, will aber eigentlich auch keiner erleben. Dazwischen wurden Lieder gesungen und in beängstigend synchronem Singsang gebetet. Naja, muss halt. Nach einem Spaziergang nach Hause wurde noch etwas weiter beschert.
Gesichter und Namen
Nisi, Nikki, Oma, Opa, Helga, Godi, Leo und viele andere, meiner Freundin wichtigen Menschen, habe ich die letzten Tage kennen gelernt. Mit Namen tue ich mich etwas schwer, wenn ich die Leute dazu noch nicht persönlich getroffen habe. Diese Zuordnungsleistung konnte ich aber nun vollführen und wurde von allen herzlichst begrüßt und aufgenommen.
Puzzles, Limburg und Autofahren
Auf dem Land ist alles furchtbar entfernt voneinander. Das ist zwar meist richtig, aber auch in den Ausnahmen wird dieser Weg mit dem Auto zurückgelegt. Und so war ich diese Woche so viel mit dem Auto unterwegs, wie die letzten zwei Jahre zusammen. Natürlich als Beifahrer, selber habe ich dieses Jahr gar nicht vor hinter dem Steuer gesessen, das letzte Mal war Weihnachten 2012. Neben Fahrten zu den Großeltern, Rewe oder einer Orientierungsfahrt letzten Sonntag ging es auch zweimal nach Limburg (#protzbischof) und einmal nach Wiesbaden. Von letzterer Stadt habe ich nicht viel mehr als einsturzgefährdete, nach Urin stinkende Parkhäuser und durch heiße Quellen dampfende Gullideckel gesehen. Das muss nachgeholt werden.
Bei der Hausführung am ersten Tag verlor sich Nina in die ein oder andere Erinnerung und so standen wir letztlich vorm Regal mit Puzzles. Eine Leidenschaft, die wir beide geteilt haben und nun war ja Zeit. Also lag ich oft genug auf dem Boden vor der Puzzleplatte und fügte bunte kleine Teile zu einem bunten großen Ganzen. Angesteckt und nur wartend, bis ich (endlich) mit dem Puzzle fertig war, folgte Freitagnacht in Gemeinschaftsarbeit zu dritt das zweite und am Samstag in nur drei Stunden das dritte Puzzle. Erfolgreich angefixt. Ich habe schon die Aufgabe erhalten, uns eine Puzzleplatte zu besorgen.
Abschied und Heimreise
Heute waren wir noch einmal etwas zu Fuß unterwegs. Wenigstens heute bin ich so auf meine 10.000 Schritte gekommen – mein Fitbit dachte anscheinend die letzten Tage, ich hätte mir das Bein gebrochen. Jetzt sitze ich im ICE 1657 von Frankfurt (19.19 Uhr) nach Dresden (0.27 Uhr). Bis auf den polternden Zugbegleiter, der „Zusteiger“ (?) auffordert, ihm die Fahrscheine zu zeigen, eine ruhige Fahrt. Ich hoffe, sie zieht sich nicht allzu lang hin.
Die Hinfahrt verging sehr schnell. Es war sehr schön im dunklen loszufahren und schon Mittag anzukommen. Jetzt das andere Extrem – aber wir wollten den Tag noch nutzen. Die Nacht wird kurz und morgen früh werde ich mich sicher quälen, 6.00 Uhr das Bett zu verlassen.
Es war eines der schönsten Weihnachtsfeste, die ich je hatte. Ich finde es sehr schade, dass es eben nicht so einfach ist, für ein Wochenende mal „rüber“ zu fahren – aber vielleicht will mir ja jemand eine Bahncard 100 spendieren …?